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Soziologie

Wenn der Philosoph P. Feyerabend die methodologische Seite der Wissenschaften insgesamt in Frage stellt, dann verstehe ich das als ein Plädoyer gegen die Vorherrschaft der Methoden gegenüber den „Inhalten“ und dabei vor allem gegen die einseitige Betonung der N-G-Methoden in den Wissenschaften insgesamt und in den Kulturwissenschaften im Besonderen.

 

Für uns ist das wesentliche Zentrum der soziologischen Wissenschaft zum einen das Verhältnis zwischen den Zielen der Individuen und der Kollektive, insbesondere der Gesellschaft. Das wird als „Ii-Ik-Ig“ modelliert.

Zum anderen ist es das Verhältnis dieser I zu den zugehörigen E-Seiten, als I/E , beziehungsweise Ei/ Ii etc., beispielsweise das individuelle Wissen oder das Eigentum eines individuellen Menschen oder auch seine fantastischen Vorstellungen in Relation zu seinem subjektiven Willen oder seinen Zielsetzungsfähigkeiten.

Zur E-Seite gehören solche Faktoren wie der Stand der technologischen und ökonomischen Entwicklung ebenso wie die Organisationsstrukturen des Staates. An derart einflussreiche E- Ausprägungen binden sich vor allem die Ik und die Ig .

Die von uns betonte Zurückführung soziologischer Fragen auf die I- und E-Sphäre sei an einem klassischen Beispiel verdeutlicht. In der Durkheimschen Theorie des Selbstmordes als inverser Beziehung zwischen Suizidraten und dem Grad der sozialen Kohäsion sowie der normativen Stabilität, sind diese beiden Ursachen relativ undeutlich. Wir versuchen sie auf Ig und auf das Verhältnis „ Ii zu Ig“ zurückzuführen, der Übereinstimmung der Ii untereinander und mit dem Ig , sowie der Veränderbarkeit aller beteiligter I .

Wie in fast allen Wissenschaften ist auch in der Methodik der Soziologie die deskriptive Aussage auf der Basis einer allgemeinen empirischen Theorie die wichtigste Annäherungsweise an die Inhaltesseite der soziologisch zu erklärenden Bereiche der Realität.

Wenn aber die I und die I/E-Relationen im Mittelpunkt stehen, dann sind die Methoden der Identifikation ( G ) und die der Falsifikation ( N ) nicht hinreichend; N-G muss dann durch N/G-Methoden ergänzt werden.

Anders gesagt, Wissenschaften wie die Soziologie müssen stets zweigleisig fahren, und zugleich methodologisch exakte, empirische und rationale Theorien und Methoden nutzen sowie derartige Methoden, die man als „heuristisch“ bezeichnen kann oder – prinzipiell und konsequent ungenau formulierbar – als solche von einem niedrigeren Abstraktionsniveau.

Die strikt überprüfbaren N-G-Methoden haben die Tendenz – durch N als Negation oder G als Identifikation – alle Erkenntnisse zu komprimieren und auf eine „punktuelle“ Struktur zu reduzieren. Bei näherem Hinsehen erweist sich aber der E-Charakter dieser Struktur als ein Kürzel für eine Anzahl von Substrukturen; zum Beispiel können das elementare Handlungen von Einzelpersonen sein, die wiederum ihre Begründung in dem handelnden Individuum haben. Man muss sich aber klarmachen, durch diese weitere Differenzierung der E-Struktur wird zwar das beseitigt, was woanders als der „Entfremdungscharakter“ des E-Modells genannt wird, aber dieser Schritt führt unter anderem über die Begrenzungen der Einzelwissenschaft Soziologie hinaus, in den Bereich der wissenschaftlichen Psychologie.

Im Gegensatz zu E und den mit E verbundenen N-G-Methoden besitzen die N/G-Methoden die Fähigkeit, Relationen herzustellen; so auch zum Beispiel sprachlich einen Sachverhalt in großer Vielfalt zu umschreiben, anstatt diesen „auf den Punkt zu bringen“. Die dabei wirkenden unbegrenzten Freiheitsgrade geben die Möglichkeit von Kreativität wie sie beispielsweise der Hypothesenbildung des Forschers zugrundeliegt.

So kann man in einer „Theorie sozialer Handlungen“ die soziologische Erklärung einerseits auf „Aussagen“ ( G, E ) über soziale Aktionen und Interaktionen zurück führen. Die Strukturen, die als Komponenten oder Formen in Handlungen erscheinen , sind eine Konkretisierung der E-Vorstellung. Man muss aber zugleich über den bloßen empirischen Gehalt hinaus erklären können, wie die „sozialen Handlungen“, sozialen Aktionen und Interaktionen zu erklären sind. Der Theorie-Ansatz von T. Parsons sieht die sozialen Strukturen als einen Pol und soziale Handlungen als einen zweiten.. Wobei die Handlungen – die ich als N/G-Methoden beschreibe – eng mit der I-Seite, wie der „Motivation“ verbunden sein müssen. Das fügt die Kritik an dem Parsonschen Konzept als „Ergänzung“ dieser Theorie hinzu, indem sie sich sagt, dass diese Handlungen und Interaktionen methodisch mit den dabei auftretenden Motivationen ( I ) der beteiligten Personen zu verbinden sind und man die E mit N/G und I verbinden kann

Da diese umfassende Theorie soziologischer Fundierung ihr Gegenstück in der marxistischen Begründung der Soziologie hat, scheint gerade deshalb eine gemeinsame und quasi-axiomatische Ebene erreicht zu sein. Die Systematik der Unterscheidung beider Versuche zur Grundlegung der soziologischen Wissenschaft ist dann zumindest angebbar. Sie besteht hauptsächlich darin, dass die hoch entwickelte „bürgerliche“ Theorie von Parsons zwar die I-Seite formal einführt, als „Funktion“, Marx dagegen die I-Seite weniger als theoretisches Element sieht, aber inhaltlich – als gesellschaftliche Interessen – ausführlich behandelt. Analog gilt das für die E-Seite. Sie wird in der Parsonschen Theorie abstrakt als „Struktur“ gesehen. Bei Marx sind es die zu den konkreten I-Funktionen gehörenden, jeweils aber konkreter gefassten E-Strukturen. Das philosophische Problem stellt sich daraus als das Verhältnis von „Abstraktion“ und „Praxis“ dar.

Mit der Betonung der I-Sphäre werden allerdings die E-Strukturen und die N-G-Methoden – zum Beispiel die Aussagen, die aus Beobachtungen herrühren – ebenso vorausgesetzt wie I/E-Relationen. Und es kann die Kritik an der E-Seite nur sinnvoll sein, weil – in jeder Wissenschaft nachweisbar – Beobachtungen theoriebefrachtet sind. Das heißt, die Objekte wissenschaftlichen Forschens sind Strukturen ( E ), die ihrerseits durch Theorien ausdifferenzierbar sind.

Die I-Seite vermag nicht nur die scheinbar allein wissenschaftlichen Ansprüche der präzisen Beobachtungen, Benennungen und Beweise zu relativieren, sie kann auch die Brücke von der Wissenschaftlichkeit zu den Alltagsannahmen über gesellschaftstheoretische Fragen schlagen. In den praxisorientierten Teilen des Wissens wird auf diese Weise immer auch philosophisch gearbeitet.

Der von der Praxis entferntere Teil des wissenschaftlichen Arbeitens zeichnet sich dadurch aus,dass dort der Ruf nach „reinen“ Beobachtungs-Aussagen herrscht; das ist durchaus gerechtfertigt. Alle Strukturzüge, die wir in der I- und der E-Sphäre vereinen und die Teil des objektiven Geistes sind, wollen erst einmal unabhängig von irgendwelchen Relationen sein, seien diese sachlicher Art wie die I/E-Relation oder genetischer Art wie die Herkunft der objektiv-geistigen Strukturen aus den subjektiv-geistigen.

Theorien, die sich darauf beschränken, reine Beobachtungsaussagen zu machen, sind stets darauf angewiesen, die Erzeugung von wissenschaftlichen Hypothesen einer anderen Art von wissenschaftlicher Theorie zu überlassen. Ein solches Auseinanderfallen in der erkenntnistheoretischen Fundierung, kann aber der jeweiligen Einzelwissenschaft nicht nützen.

Man könnte jetzt alle anderen Methodenarten – also mit Ausnahme der empirischen – zur Analyse und Interpretation sozialer Erscheinungen benutzen.

Diese Konfrontation sollte aber nur vorübergehend sein. Tatsächlich durchdringen sich beide Methodenarten gegenseitig, was einen gewissen Grad an methodischer Kompliziertheit verursacht.

Bei derartigen Einzelwissenschaften, wie der Soziologie, kompliziert sich die erkenntnistheoretische Situation noch weiterhin. Es geht nicht nur um das geschilderte Zusammenspiel der N-G-Methoden mit den N/G-Methoden.

Dass es viele – und tendenziell wohl immer mehr – soziologische Theorien gibt, die sich der Aufgabe stellen, die soziale Wirklichkeit zu analysieren, zu erklären und zu interpretieren, ist letztlich der Komplexität dieser Wirklichkeit angemessen. Da „Komplexität“ darin besteht, dass viele E mit ihren jeweiligen speziellen I aufeinander einwirken, besteht die Analyse dieses Phänomens darin, die beteiligten E zu identifizieren, deren I-Funktion zu erkennen und einfache Modelle der Interaktion zwischen ihnen zu finden Die Interaktionen sind reduzierbar auf die beiden Arten N-G und N/G.

Unsere Hypothese ist hier, dass die verschiedenen soziologischen Theorien sich hauptsächlich dadurch unterscheiden, dass es zu Betonungen der einen oder anderen E und I kommt. Solche Hervorhebungen sind meist keine willkürlichen. Vielmehr folgt die Auslese und die Art der Interpretation dem beim forschenden Wissenschaftler vorgegebenen E-Vermögen – zum Beispiel seinem positiven Wissensstand, vor allem aber auch seinen erkenntnistheoretischen Vorentscheidungen und damit der Wahl der Objekte seiner Forschung – und seinen eigenen I- Vorgaben, seinen persönlichen und gesellschaftlichen Interessen, welcher Variation und Tiefe diese auch immer sein mögen.

Wie in relativ einfachen menschlichen Alltagshandlungen ein „Sinn“ angelegt ist, der die Handlung anleitet und der vom Handelnden selbst und von außen interpretierbar ist, so herrscht auch in der wissenschaftlichen Praxis ein Freiraum für die Ziel-, Sinn-, und Interessen-Dimension – der allerdings von der E-Seite begrenzt wird.

Eine schwierige Aufgabe ist es dann, die Sinnbezüge mit Handlungen und mit der Bildung von Aussagen und der Konstruktion von Systemen zu verbinden. Oder einfacher gesagt, mögliche kausale Beziehungen zwischen diesen wissenschaftlichen Strukturen herzustellen, gelingt nur in einem prinzipiell eingeschränkten Maße. In dem Maße wie die I-Seite betont wird, werden kausale Beziehungen, Verbindungen zwischen den Faktoren, Vorhersagen und Ähnlichem „ungenau“.

Zusammenfassend kann man sagen, dass sozialwissenschaftliche Theorien unter drei Aspekten zu analysieren sind: Der I-Seite, der E-Seite und beider Verhältnis, I/E. Wir geben hier nur eine allgemeine Sicht philosophischer Art. Die Selektion, Benennung und Betonung der einzelnen E und I bleibt sowohl der einzelnen wissenschaftlichen Theorie wie natürlich der einzelnen sozialen Praxis unbenommen.

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