Einerseits ist es der Sinn und das Ziel der Philosophie, sich der menschlichen Erkenntnis systematisch zu vergewissern. Das worüber Wissenschaften und Alltagswissen Kenntnis haben, soll durch die kritische philosophische Reflexion gewiss werden. Für die Untersuchung und Erweiterung der Begrifflichkeit und der Methoden der Naturwissenschaften mag da der Rationalismus als Leitvorstellung oft und zunächst ausreichen.
Das aber genügt dem Anspruch der Philosophie insgesamt nicht.
Das von Kant proklamierte Primat der praktischen Philosophie und die These Fichtes, dass alles praktische Wissen als Selbstrealisierung von Freiheit zu begreifen sei, verweist auf die I-Kategorie. In formaler Hinsicht bedeutet die I- Seite sowohl die Trennung von E wie die Basis von individueller und intersubjektiver Auswahl, sowie die Konstitution von Verbindlichkeit zwischen E und I . Darauf ruhen alle Wissenschaften der „Praxis“.
Der Modus der Vergewisserung veränderte sich bereits mit der wissenschaftstheoretischen Reflexion der modernen Naturwissenschaften. Das Ergebnis schien zu sein, dass die bisherige empirische Methode und ihre rationale Bearbeitung nicht zu letzter Gewissheit und strikter Unbezweifelbarkeit führen Aber nicht nur diese negierende Grundhaltung begründet den Fortschritt in der Physik.
Eine unserer Thesen ist, die zugrunde liegende Problematik ist in den zurückliegenden neuzeitlichen Diskussionen über den Status der Sozial- und Kulturwissenschaften angesteuert worden – und muss jetzt auf die Naturwissenschaften übertragen werden. Dabei geht es im Methodologischen um die Ausweitung der identifikatorisch verfahrenden Methoden auf solche, wie sie die „Dialektik“ exemplarisch vertritt. Und im Begrifflichen gilt es, parallel zur N/G-Bildung, die I-Sphäre und die I/E-Wechselwirkung systematisch auf alle wissenschaftlichen Bereiche auszudehnen.
Was unterscheidet dann Natur- von Kulturwissenschaft? Und wie lassen sich alltägliches Wissen und Meinungsysteme, sowie das, was man Praxis nennt von den Wissenschaften und der traditionellen Philosophie abgrenzen?
Es gibt auf der Ebene unserer philosophischer Auffassung prinzipiell keinen jeweils verschiedenen Ansatz.
Jedesmal werden „Meinen und Wissen“ oder wie wir sagen, I- und E-Strukturen verwendet. Der Unterschied besteht dann nur im „Quantitativen“, einmal sticht da die I-Komponente hervor, ein andermal dort die E-Seite.
War es bisher so, dass innerhalb der Philosophie – und von ihr her auch in den Wissenschaften und im Alltag – das praktische Handeln als „Gegenspieler“ zur Theorie empfunden wurde, so versuchen wir, die „Praxis“ als eine Ansammlung und eine Relationierung mehrerer elementarer Größen zu verstehen. Wobei die Zielsetzungen und die Mittel zu deren Verwirklichung, also die I-Funktion und die E-Strukturen zu diesen elementaren Größen gehören. Während die theoretische Seite sich mit deren Elementarität beschäftigt, sie begründet.
Diese zwei Seiten können in methodischer Beschreibung auch als, die von „Veränderung und Erkenntnis“ erklärt werden. Dies allgemeine Zusammenspiel jener fundamentalen Größen ist stets verbunden mit „Veränderungen“, der verändernden Tat ( N/G ). Denn die Relationierung ist der Antrieb in der allgemeinen Entwicklung. Während „Erkenntnis“ in innerer Konsequenz die Absicht hat, einfachste und voneinander getrennte und daher unveränderliche Elemente ( N-G, E ,I ) zu finden.
Der Grundtenor dessen, was als „Praxis“ bezeichnet wird ist die Relationsbildung, das Zusammenspiel der Grundgrößen und der auf ihnen aufbauenden nächst höheren, komplexeren begrifflichen Einheiten. Hier seien es – exemplarisch und vereinfacht – „Erkenntnis“ und „Tat“, die bereits in ihrer Gegensätzlichkeit in einem praktischen Verständnis aufeinander angewiesen sind und einander fördern, das heißt eben relationieren.
Der Praxisbereich ist von prinzipieller Kontingenz. Es ist einerseits die unüberschaubare Vielfalt von wirkenden Faktoren, aber vor allem ist es diese „Wirkung“ selbst, die „Komplexität“ bildenden Wechselwirkungen ( N/G ) zwischen E – und I -Größen.
Wobei die Beziehungsbildung von der Relationierungsfähigkeit der I – Anteile ausgeht. Die I-Seite deutete schon die scholastische Philosophie an. Sie hatte das Bestreben, die Theorie von der Praxis deshalb zu trennen, weil der Praxis der „Makel begehrlichen Wollens“ anhaftete. Die frühzeitig bewusste Eliminierung jeglicher I- Konstellation führte zu jener Trennung, die erst heute wieder in „I/E“ aufgehoben werden kann.
Wie kann man ähnliche Kategorien von der der „Praxis“ unterscheiden, zum Beispiel „Erfahrung“, „Handeln“ oder „Arbeit“? Sie sind die Basis wichtiger philosophischer Lehrgebäude. Und ihnen ist wie im Begriff und in der konkreten Wirklichkeit der „Praxis“ die tätige Einflussnahme als Wahrnehmen etc. ( N,G ) von Interessen ( I ) und unter Zuhilfenahme von „Mitteln“ ( E ) gemeinsam.
Die theoretische Kategorie des „Handelns“ betont eher das was die wissenschaftliche Analyse dazu sagt, während die Kategorie der „Arbeit“ sich auf die Erkundung konkreterer Teile der gesellschaftlichen und ökonomisch-technischen Ausschnitte der Realität konzentriert.
Letztlich ist es wieder der Bezug auf die vier weltanschaulichen Eckpunkte – Natur, Gesellschaft, menschliche Subjektivität und objektiver Geist – der hier eine Systematisierung von mittlerer Reichweite erlaubt.
Die „Erfahrung“ meint eher die Relationen wie sie von der Subjektivität her geprägt sind, während „Handeln“ das Verhältnis von individueller und gesellschaftlicher Subjektivität zu Strukturen des objektiven Geistes meint und „Arbeit“ zusätzlich die Natur und die Dingwelt einbezieht.
Wenn in Hegels dialektischer Systematik die „Praxis“ zum integralen Bestandteil theoretischer Erkenntnis wird, dann bleibt diese dort und insgesamt der Theorie untergeordnet, solange die Theorie nicht weit genug gefasst ist, um eine I -Systematik zu haben, die mit der von Hegel entwickelten Systematik der Identität ( E ) gleichberechtigt ist.
Erst die konsequente I/E-Bildung kann das Phänomen Praxis erfassen. In der doppelten Dynamik, welche darin besteht, dass die E-Seite alle E-Enwicklungsphasen durchläuft und die I alle I-Entfaltungsstadien, wird die Sammelkategorie Praxis durch die Kumulation dieser Phasen und Stadien ebenso bestimmt wie durch die Relation der E und I .
Wenn die „Praxis“ diesen Anspruch zu erheben wagt, dann nähert sie sich einem Begriff von „Gesamtphilosophie“. Denn sie hat zumindest alle theoretischen und damit philosophischen Teile jener Art in sich, die zur I/E- und N/G- Relationalität gehören. Sie hat aber nicht jene Größen in sich, die auf abstrakte Weise den objektiven Geist repräsentieren, die zu denen N-G und E gehören, also zum Beispiel nicht „reine, interesselose, praxisferne Erkenntnis“ – die es durchaus auch gibt.