In philosophischer Sicht ist die Rechtswissenschaft wesentlich durch die I – Sphäre bestimmt. In der Rechtsprechung treten von außen vorgegebene Ziele und Aufgabenstellungen mit den erkenntnisleitenden Interessen der Wissenschaft in ein Verhältnis zu den gesellschaftlichen Strukturen.
Die juristische Praxis dient wesentlich der Erhaltung dieses I/E-Verhältnisses und damit der vorgegebenen gesellschaftlichen Strukturen ( E ) mit ihren Normen und Zielen ( Ig ). Die gesellschaftlichen Ziele treten in ein kompliziertes Wechselverhältnis mit den Wünschen, Interessen und Zielen der Individuen ( Ii ) und der Kollektive ( Ik ) . Es ist nun die Aufgabe des Rechtsbereiches, effiziente rechtsförmige Vorschläge für die Regelung der gesellschaftlichen Beziehungen – für deren Bedarfsvorsorge zum Beispiel – bereitzustellen Vor allem die Hauptziele, die Erhaltung und Fortentwicklung der Gesellschaft, bedürfen der systematischen Regelung zwischen den Ig , Ik und Ii , beispielsweise als Konfliktregelung.
Das Rechtssystem hat eine formale Rationalität herzustellen. Die dafür gebotene Systematisierung von Rechtsregeln und die Formalisierung der rechtlichen Entscheidungsmethodik widerspricht aber im Kern der I-Sphären-Struktur, deren unbegrenzbarer Dynamik zum Beispiel. Es besteht daher aus der Praxis und der juristischen Theorie eine „objektive“ Tendenz, die I-Seite den E-Strukturen anzunähern ( I/E ).
Das Rechtssystem ist sowohl Sachwalter der gesellschaftlichen wie auch der kollektiven und individuellen Interessen. Alle drei Positionen sind philosophisch legitim und daher weder theoretisch noch in der Praxis voneinander zu trennen.
Eine erkenntnistheoretische Beurteilung des Rechtsbereiches modelliert diesen daher als „I/E“- Verhältnis, als Relationsgeflecht der Ig-Ik-Ii mit dem jeweiligen E-Entwicklungsstand der Strukturen ( E ) der Gesellschaft, zum Beispiel deren Reichtum, Bildungsniveau oder Organisationsgrad .
Dies Verhältnis erscheint dann wieder in der methodologischen Grundstruktur dieser Wissenschaft. Für die Jurisprudenz ist das zwischen Trennung und Zusammenspiel wechselnde Verhältnis von deskriptiv-empirischen ( N – G ) und normativen Methoden charakteristisch. Es sind das identifikatorische Erfassung und logische Analyse von Rechtsinhalten und ihre Eingliederung in Systeme einerseits und Legitimation von Institutionen und deren Interessen andererseits.
Die Geschichte der Rechtswissenschaften folgt – als Teil der europäischen Geistesgeschichte – einem Verlauf, den wir als „Entwicklung“ darlegen. Eine äußere Eigenart darin ist die Auftrennung der unreflektierten und engen I/E-Verhältnisse, wie sie in der Verflechtung der feudalen Eigentums- und Interessenverhältnisse nahezu selbstverständlich waren, bis zur Trennung beider gesellschaftlichen Aspekte seit der frühen Neuzeit. Dieser Trennungsprozess – der E von den I – ist bis heute nicht abgeschlossen.
Auch innerhalb der I-Seite kam es zu einer immer schärferen Trennung, nämlich der von moralischer Berechtigung und positiver Geltung von Rechtsnormen Ein weiterer Entwicklungsweg war davon gekennzeichnet, dass die E-Seite immer mehr Einfluss gegenüber der I-Seite gewann. Als Positivität des Rechts war dies vor allem staatlichen Organisationsstrukturierungen zu verdanken. Um die faktisch durchsetzungsfähige Geltung zu erreichen, mussten aber auch innerhalb der wissenschaftstheoretischen Struktur positive Methodik und objektivierte Begrifflichkeit mehr Raum gewinnen. Die Trennung von positiver Geltung, Legalität von Legitimität war eine Anpassung der juristischen Wissenschaft an die allgemeine Stärkung der aufklärerischen Rationalität. Dieses „mechanistische“ Paradigma ist als „N-G , E“ modellierbar. In beiderlei Hinsicht geht das auf Kosten der N/G-Methoden und der I-Relationen.
Obwohl die Methoden der wissenschaftlichen Arbeit die der Identifikation ( G ) waren, blieb daneben weiterhin die Aufgabe der Legitimation gesellschaftlicher Interessen bestehen. Sie wurde aber nicht systematisch in die wissenschaftliche Reflexion einbezogen.
In der historischen Entwicklung des Rechts scheint es einander sich abwechselnde Stadien zu geben, in deren einer Phase man versucht, die Grundlagen der Wissenschaft mit Hilfe der klassischen Logik und einer vollständige Formalisierung schaffen zu können. Und in der folgenden Phase geht man dann von der Betonung der logisch-deduktiven Operationen weg und hin zur wissenschaftlichen Hervorhebung von richterlichen Wertungen, gesellschaftlichen Zwecken und ähnlichen I -Konfigurationen sowie den sie begleitenden Methoden. Diese Entwicklung erreichte ihren Höhepunkt im 19. und 20.Jahrhundert, als das theoretische Selbstverständnis der Rechtswissenschaft vom Rechtspositivismus abzurücken begann und die gesellschaftlichen Interessen und Wertungen stärker berücksichtigte.
Dass in den theoretischen Konstruktionen die I-Seite stärker hervortrat und die sie begleitende weitgehende Entscheidungsfreiheit für die Gerichtsbarkeit methodisch postuliert wurde, war deshalb notwendig geworden, weil über den Ausgleich zwischen den historisch wichtiger gewordenen gesellschaftlichen Interessengruppen nicht entschieden werden konnte, ohne auf die Problematik der I-Sphäre einzugehen.
Mit der geistesgeschichtlichen Entwicklung deutete sich eine Aufhebung der beiden gegensätzlichen Positionen an, die wir anhand des Versuches Kelsens, die Rechtswissenschaft auf positivistischer Grundlage als wertfreie Wissenschaft zu konstituieren, erläutern wollen. Von dem erkenntnistheoretisch gegebenen Unterschied von „Sein“ ( E ) und „Sollen“ ( I ) kommend, sieht Kelsen, dass Aussagen ( E ) und Sätze subjektiv auch als Akte des Sollens, als Normen verstanden werden können. Diese epistemologische Möglichkeit kann aber nur dann zu einem „objektiven“ Sollen werden, wenn der gesetzgebende Akt – orientiert an der „Verfassung“ – diesen Aussagesatz zu einer gesellschaftlich verbindlichen Norm erhoben hat. Wichtig daraus ist für uns, dass eine E-Konstellation in eine der I-Seite verwandelt werden kann. Weil dies aber auch umgekehrt geschehen kann – zum Beispiel dann, wenn die gesellschaftlichen Interessen, Gesetze, Normen positivistisch bestehen bleiben, obwohl sie hinsichtlich der gesellschaftlichen Interessenlage obsolet sind – kann man philosophisch von einem I/E-Wechselverhältnis sprechen.
Eine derartige gegenseitige Beeinflussung der E und I führt über eine einseitige erkenntnistheoretische Festlegung auf einen positivistischen – oder auch voluntaristischen – Standort hinaus. Mit I/E und dem übergreifenden Relationierungsvermögen des Modells und seiner Fundierung, beispielsweise als „Praxis“, wird wiederum darauf verwiesen, dass die Geltung von Rechtssystemen gesellschaftlich bedingt ist – der Verfassungsgeber ist eine politische Instanz – und dass in der gesellschaftlichen Praxis schließlich nur die wirksame Anwendung zählt.
Die Grundtypen rechtswissenschaftlicher Argumentation sind als Zusammenwirken der E-Seite mit den zu ihr gehörenden Methoden vom N-G-Typ und der I-Seite mit den N/G-Methoden zu erklären. Beim Vollzug, der Anwendung, Bewertung und der Änderung von Rechtsnormen kann man in der methodischen Handhabung gegebenen Rechtsmaterials die eher formalen Regeln vom N-G-Typ von der Darstellung und kritischen Bewertung von Werten und Zielen ( I ) unterscheiden.
Die Erfassung der Bedeutung und die Rekonstruktion der den Normen zugrunde liegenden Intentionen ist etwas anderes als die empirische Untersuchung ( G ) von rechtlichen Tatbeständen. Der Versuch dieser Wissenschaft läuft darauf hinaus, ein formales Verfahren zu entwickeln, das zwar den Prozess der juristischen Interpretation und Entscheidung formal regelt und rational in überprüfbarer Weise handhabt, aber den Kern der Normativität darüber nicht verliert, das heißt nicht vergisst, inwieweit das gesellschaftliche Wertesystem und politische Zielsetzungen durch das Rechtssystem erfüllbar sind.