Es geht um das Verhältnis von Gesamtrealität und Subjektivität. Während die Einzelwissenschaften sonst, in ihren Begriffen, Methoden und Zielsetzungen spezialisiert und auf einzelne „weltanschauliche Eckpunkte“ festgelegt sind, geht es hier um eine Vereinigung aller weltanschaulichen Eckpunkte. Philosophisch gesehen hat “Literatur“ und auch die Literaturtheorie von daher einen universellen Anspruch.
Im Selbstverständnis der Literaturwissenschaft steht weitgehend die Methodendiskussion im Mittelpunkt. In der literarischen Erfassung der Realität – also in der Produktion und in der Rezeption von Literatur – erscheinen die zwei Hauptarten der Methodologie, N-G und N/G als zwei traditionelle Hauptströmungen in der theoretischen Erfassung von Literatur.
N-G und E modellieren die eine Hauptströmung in der Geistesgeschichte und Literaturtheorie. Sie begreift sich als die wissenschaftliche Darstellung der Gestalten und Formen, der Mittel und Techniken der Literatur. Eine heterogene Vielfalt von wissenschaftlichen Aktivitäten wie die philologischer, textkritischer Art bis zu editionstechnischer Thematik ist dadurch charakterisierbar, dass diese Methoden nur den Anspruch haben, Literatur von außen her zu beurteilen. Es geht vor allem darum, Literatur als einen exakt definierten Objektbereich durch formal konsistente Theorien identifizierbar zu machen, um sie zu erklären. G und E sind dafür die philosophische Modellierung.
Diese morphologische Richtung erscheint auch zum Beispiel als „werkimmanente“ Methode, der die Ganzheit und Stimmigkeit des jeweiligen Werkes wichtig ist. Form und Inhalt werden nur formal daraufhin betrachtet, ob sie eine Einheit bilden.
Während hier das literarische Kunstwerk sich selbst genügen soll, sucht die hermeneutische, kritische, wertende und interpretierende Untersuchung die Verbindungen der Werkes zur Welt mit diesen Methoden herzustellen, die wir als N/G modellieren. N/G und I erscheinen geistesgeschichtlich als die Richtung, die sich der Literatur durch „nachvollziehende Einfühlung“ nähert. Sie ist um das „Verstehen“ des Werkes bemüht. Und sie berücksichtigt individuelle, gesellschaftliche und politische Aspekte der I-Seite in der Literatur.
Wie beeinflusst dieser umfassende Anspruch das Verhältnis der Dichtung zu anderen Künsten und zu den einzelwissenschaftlichen Bereichen? Und wie drückt sich das Wesen der Literatur in den Erscheinungsformen von Literatur aus, wie es zum Beispiel das normative Regelwerk der Metrik, Rhetorik und Poetik ist oder die Einteilung in literarische Gattungen? Und noch weiter gefasst, wie kann man die ästhetischen Merkmale und die spezifische Methodik philosophisch begreifen?
Bevor ich das beantworten kann muss gezeigt werden, wie die in der Literatur und in der Literaturwissenschaft auffindbare methodologische Pluralität vor allem aus dem Modell „N-G zu N/G“ herleitbar ist. In der literaturwissenschaftlichen Praxis sind die kritisch-emanzipatorischen Ansprüche von den technokratischen nicht leicht zu trennen. Wie in anderen Kulturwissenschaften gehen die Nachbarwissenschaften und deren philosophische Ansätze auch in der literaturwissenschaftlichen Betrachtung ineinander über. Ein exakt definierbarer Objektbereich ist durch dieses Modell zwar eingeschlossen, aber gerade der Bereich der Literatur wird von der Option der unendlichen Übergänge der G – Methoden zu den N/G-Methoden bestimmt.
Die Hermeneutik, Ästhetik, Psychologie und die Sozialwissenschaften auf der einen Seite und die mathematisch-statistischen Beschreibungsweisen, sowie die strukturalistische Linguistik und ähnliche methodische Bereiche auf der anderen Seite tragen zu der literaturwissenschaftlichen Methodik bei, sind letztlich kaum ernsthaft voneinander zu trennen
Das Zusammenspiel von N-G- und N/G-Methoden kann man in den einzelnen Bereichen und Entwicklungsphasen – hier der der Literaturtheorie – verdeutlichen. Die Wissenschaft von der Literatur ist traditionellerweise erstmal im empirischen Sinne als objektivistisches Datensammeln und der Systematisierung der Daren zum Zwecke der Stereotypisierung und der Beschreibung angelegt. Diesen N-G-Methoden, die auf die Erzeugung von E ausgerichtet sind, stehen aber bezeichnenderweise und gerade in der „Literatur“ Methoden zur Seite, die die individuelle Kreativität wissenschaftlich erfassen sollen. Dabei stehen nicht so sehr die reproduzierbaren Konformitätsindikatoren im Vordergrund, sondern das erzeugende und rezipierende menschliche Subjekt, das als sich selbst erzeugendes und modifizierendes verstanden werden kann. Dieses autopoietisch handelnde Individuum kann dann in einem permanenten Interaktionsprozess mit anderen Individuen und der Umwelt gesehen werden.In diesem natürlichen und sozialen Umfeld tritt es evozierend, steuernd und gesteuert in Interaktion.
Diese praktische Kooperation und Kommunikation geschehen vermittels „Zeichen“. Aber im Unterschied zu Wissenschaften, in denen konsensuelles Einverständnis über rational zu erzeugende objektive Wahrheit herrscht, geht es in der Literatur primär um Wirklichkeiten wertender Art. Dieser spezifische Interaktionsmodus wird von uns in N/G modelliert. Diese methodologische Struktur macht, dass Literatur in die Dynamik aller Lebensvorgänge verflochten sein kann, nämlich als individuelle Interaktion mit sprachlich vermittelten Erfahrungen, und als Prozess der Transformation und Modifikation vom erzeugenden zum rezipierenden Subjekt, von der Intention ( I ) zum Sinn und Bedeutung Verstehenden. Als formaler hermeneutischer Vorgang hat er wieder die N/G-Form.
Solchen relativ einfachen Erwartungen an die Methodik der Wissenschaft kann in derartigen Bereichen wie dem der Literatur kaum entsprochen werden. Die Folge ist, dass jedem methodischen Versuch eine kritische Relativierung zur Seite gestellt wird. So wird die Eindeutigkeit einer objektiven Welt mit ihren behauptenden Botschaften durch kommunikative Transformationsprozesse relativiert. Darüber muss dann konsequenterweise die nächst höhere Reflexionsebene errichtet werden, indem zum Beispiel noch formalere Repräsentationen der subjektspezifischen Rezeptionsprozesse oder meta-kommunikative Regeln konzipiert werden.
Ich bemühe mich, diese für den Bereich der Literatur typische Komplizierung der Methodologie dadurch durchschaubar zu machen, dass ich alle denkbaren Relationen der N, G und der I, E , also eine kleine Anzahl von elementaren Vorstellungen, nutze.
Das geht nur, wenn beide, die N-G- und die N/G-Methoden zugleich zur Anwendung kommen, gleichgültig ob diese beiden Formen sich als zur Abstraktion neigender Objektivismus darstellen oder als kontextuelle Prozesse subjektiver Kommunikation erscheinen. Erst wenn beide, sich traditionell konfrontativ gebende Methoden-Arten, zugleich wirken, erlaubt die Methodik eine Maximierung der literarischen Möglichkeiten sowie die Erfüllung der Aufgabe der „Wissenschaft von der Literatur“, diese „Bedingungen der Möglichkeit“ von Literatur in kontrollierbarer Weise anzugeben.
Das Verhältnis der N-G-Methoden zu den N/G-Methoden erzeugt eine komplexe Situation. Zu dieser Methodik tritt die „Inhaltsseite“ hinzu. Das heißt, das was „Literatur“ heißt und somit Gegenstand der literaturwissenschaftlichen Darstellung ist, wird von fast beliebigen Bereichen her in inhaltlicher Weise bestimmbar. Es geht uns darum, jenseits der methodisch-technischen literaturwissenschaftlichen Forschung eine philosophische Systematisierung zu finden, die den inhaltlichen Seiten der literarischen Realität entspricht. Das geschieht parallel zu N, G als Relation der I-E zu den I/E .
Die inhaltliche Seite von Literatur kann so beispielsweise auch innerhalb dessen konkretisierbar sein, was wir als „Ii zu Ig“ bezeichnet haben; und was mit dem jeweiligen Beobachter als homomorphem Subjekt und den entsprechenden konsensuellen Interaktionsbereichen übereinstimmend, formal beschrieben werden kann .Vor allem gilt hier: Der noch so variable deskriptive ( E, G ) Begriff von Literatur ist ohne eine privilegierende Wertung dieser Interaktionen ( Ii, Ig ) nicht zu verstehen.
Wenn die Literatur und die Literaturtheorie im Formalen philosophisch mit E, I, N,G analysiert werden kann, dann geht es aber auch hier, wie in den anderen Bereichen der Realität in erster Linie um die jeweiligen konkreten Inhalte von E, I, I/E in allen Lebensbereichen.
Um die mögliche inhaltliche Fülle in der „Literatur“ wissenschaftlich angemessen zu erfassen, müssen die Wissenschaften mancher anderer Bereiche – wie die Ästhetik, die Anthropologie, die Sprachwissenschaft, die historische Forschung, die Psychologie – interdisziplinär herangezogen werden, wobei klar bleibt, dass Literatur als sprachliche Vermittlung konkreter menschlicher Individualität und Kreativität jene Wissenschaften, die bloße Mittel der Erkenntnis sind, in spezifischer Weise übertrifft.
Wir versuchen dazu, alle jene Verbindungen zwischen diesen Wissenschaften in einer philosophischen Weise herzustellen, indem wir das „I,E,G,N – Schema“ verwenden.
Da Literatur aber prinzipiell alle E und I erfassen und mögliche E und I phantastisch erzeugen kann, geht sie über einen bisherigen Begriff von Wissenschaft und Philosophie in einer noch zu betrachtenden Weise hinaus.